Gespeichert von Nechvatal am Mo., 14.03.2016 - 09:06

Römisch-oder böhmisch-katholisch?

Utl.: Der Josephinismus in den Böhmischen Ländern Thema beim Tag der offenen Tür

Der Josephinismus war das Thema am Tag der offenen Tür vom 05. März 2016 im Hause Königstein auf Wunsch vieler Teilnehmer. Schon im ersten Band des Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien veröffentlichte Prof. A. Huber in Königstein einen Beitrag: Was ist das Besondere am Sudetendeutschen Katholizismus?

Dieser Frage stellte sich auch Professor Rudolf Grulich in Nidda und erklärte den interessierten Zuhörern den vermeintlichen Unterschied zwischen römisch- und böhmisch-katholisch. Dieser Unterschied im Glaubensleben wurde deutlich, als die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen sudetendeutschen Katholiken mit den Einheimischen zusammentrafen. Schnell war der Begriff geboren: Ihr seid nicht römisch-katholisch, Ihr seid böhmisch-katholisch, was für die Sudetendeutschen fast ein Schimpfwort bedeutete.

Tatsächlich waren es die von Kaiser Joseph II. durchgeführten kirchlichen Reformen in den böhmischen Ländern nach dem Tode seiner Mutter Maria Theresia, die diesen Unterschied in der Gläubigkeit hervorriefen. Die sudetendeutschen Katholiken waren liberaler, pragmatischer und zeigten mehr Toleranz, man kniete weniger in der Kirche und war beim Kirchenbesuch laxer. Man könnte sagen: Sie nahmen schon das Zweite Vatikanische Konzil vorweg, erklärte der Referent. Um diese Entwicklung zu verstehen, müsse man in der Geschichte weit zurückgehen.

Als eine wichtige Etappe der Kirchengeschichte der böhmischen Länder nannte Grulich die Tatsache, dass schon im Mittelalter deutsche Geistliche die Kirche in Böhmen und Mähren prägten und dass unter Kaiser Karl IV. der böhmische Frühhumanismus entstand.

Durch Hus und die hussitische Bewegung, sowie durch die Reformation war zwar der Großteil der Bevölkerung des Sudetenlandes evangelisch geworden, wurde aber durch die Gegenreformation wieder zur katholischen Kirche zurückgeführt. In der Barockzeit entwickelte sich in Böhmen eine reiche Barockkultur und es wurden zahlreiche Wallfahrten durchgeführt. In der Zeit der Aufklärung wurde diese Art der Frömmigkeit kritisch gesehen, wofür der Referent Lessings Nathan der Weise anführte, mit dessen toleranter Sicht auf andere Religionen.

Ein Aufklärer war auch Kaiser Joseph II., der „missratene Sohn der frommen Kaiserin Maria Theresia“. Dieses Zitat brachte in der Diskussion ein Zuhörer, der ein solches Bild des Kaisers im Religionsunterricht gelernt hatte. Auch der Referent bestätigte, dass er ebenfalls noch im Gymnasium im Religionsunterricht von diesem negativen Bild geprägt war. Wie konnte es zu dieser Meinung kommen?

Kaiser Joseph II. hatte bei seinen Reformen zwar in seinem ganzen Reich 600 Klöster aufheben lassen und viele Priesterseminare. Positiv dagegen zu setzen ist, dass er nur Klöster aufheben ließ, die in seinen Augen nicht der Bevölkerung dienten. Mit dem Erlös, den er durch den Verkauf der Klöster erzielte, gründete er einen Religionsfond, der heute noch in Tschechien besteht. Damit seine Gläubigen nicht länger als ein Stunde Fußweg zur nächsten Kirche hatten, gründete er neue Diözesen wie in Budweis, Linz und St. Pölten und errichtete viele neue Kirchen, die aus den Mitteln des Religionsfonds bezahlt wurden.

In neuen Generalseminaren wurden die Priester ausgebildet und neue Fächer wie Pastoraltheologie gelehrt. Im sogenannten Toleranzpatent wurden auch die Protestanten anerkannt, wenn gleich nur die des Augsburger und Helvetischen Bekenntnisses, also die Lutheraner und Kalviner. Obwohl Papst Pius VI. eigens nach Wien fuhr, konnte er den Kaiser nicht von seinen Reformen abbringen.

Diese staatskirchliche Auffassung des Josephinismus prägte Österreich und die böhmischen Länder bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Da es in den böhmischen Ländern nicht den Kulturkampf gab wie unter Bismarck im Deutschen Reich, waren die sudetendeutschen Gläubigen liberaler, pragmatischer und zeigten mehr Toleranz.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg fast drei Millionen Sudetendeutsche durch die Vertreibung nach Deutschland kamen, wurde ihre Gläubigkeit misstrauisch gesehen. Man sah aber nicht, dass sich die sudetendeutschen Katholiken in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur bewährt hatten, sondern dass viele sudetendeutsche Priester in deutschen KZs waren und sogar als Märtyrer starben.

Auch in der Tatsache, dass die sudetendeutschen Heimatpriester als Rucksackpriester beim Aufbau von Hunderten neuer Pfarreien in Deutschland ihren Mann stellten, spricht für die damalige Lebendigkeit der sudetendeutschen Kirche. Professor Grulich schloss mit dem Appell an die noch lebenden Zeitzeugen, ihre Erfahrungen mit diesen Priestern der Nachfolgegeneration weiterzugeben. Eine äußerst lebhafte Diskussion von fast zwei Stunden schloss sich an.         

Angelika Steinhauer

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