Zum 100. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern
Utl.: „Betrogenes Volk”
Der Völkerbund-Kommissar Fritjof Nansen nannte nach dem Ersten Weltkrieg die Armenier in seinem Buch über ihr Schicksal ein „Betrogenes Volk”. Sie waren 1915 einem Holocaust ausgesetzt, erhielten dann von den Siegermächten das Versprechen eines eigenen Staates, mussten aber erleben, dass sie der Vertrag von Lausanne 1923 nicht einmal mehr erwähnte, obwohl der Vertrag von Sèvres 1920 noch einen armenischen Staat vorgesehen hatte.
Es war nicht das theokratische Regime des Sultans, der auch Kalif und damit Stellvertreter Mohammeds war, sondern die Regierung der Jungtürken, die in ihrem Wahn eines türkischen Nationalstaates das Ende der christlichen Volksgruppen in der Türkei brachten. Das Unheil begann mit der Endlösung der Armenier seit dem 24. April 1915, als zunächst alle armenischen Notabeln in Konstantinopel, später alle Armenier im ganzen Land deportiert wurden. Seitdem ist der 24. April der nationale Trauertag aller Armenier in der ganzen Welt. In diesem Jahr gedenkt die Welt des 100. Jahrestages dieser Tragik.
Bereits 1895/96 und 1908 gab es Pogrome gegen Armenier, aber die Endlösung war von den Jungtürken 1915 vorgesehen. In endlosen Deportationszügen schleppte man die Armenier in die Wüste Syriens, ermordete schon unterwegs die Männer und schändete Frauen und Mädchen, von denen Zehntausende in türkischen Harems verschwanden.
Als die mit der Türkei verbündete deutsche Regierung viel zu spät bei der Hohen Pforte nach dem Schicksal dieser Christen anfragte, kam von Seiten des türkischen Innenministeriums nur die lakonische Antwort: ”La Question Arménienne n’existe plus” (Die Armenische Frage existiert nicht mehr).
Die Absicht einer Endlösung war 1915 klar erkenntlich. Die deutschen Konsuln in der Türkei schrieben in ihren Berichten an die Deutsche Botschaft in Konstantinopel von der „Vernichtung der Armenier in ganzen Bezirken”, von „der Vernichtung oder Islamisierung eines ganzen Volkes” oder von „der Erledigung der armenischen Frage durch die Vernichtung der armenischen Rasse”. Sie erkannten, dass die Jungtürken „der armenischen Frage endgültig ein Ende machen wollen”, um sich „der armenischen Frage für die Zukunft zu entledigen”. In einem Bericht nach Berlin weiß der deutsche Botschafter von der „Vertilgung der letzten Reste der Armenier”.
Die Anweisung der deutschen Pressezensur zur Behandlung dieses Themas war diese: „Über die Armeniergreuel ist folgendes zu sagen: Unsere freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei dürfen durch diese innertürkische Verwaltungsangelegenheit nicht nur nicht gefährdet, sondern im gegenwärtigen, schwierigen Augenblick nicht einmal geprüft werden. Deshalb ist es einstweilen Pflicht zu schweigen. Später, wenn direkte Angriffe des Auslandes wegen deutscher Mitschuld erfolgen sollten, muss man die Sache mit größter Vorsicht und Zurückhaltung behandeln und stets hervorheben, dass die Türken schwer von den Armeniern gereizt wurden. - Über die armenische Frage wird am besten geschwiegen.
Besonders löblich ist das Verhalten der türkischen Machthaber in dieser Frage nicht.”
Von fast zwei Millionen Armeniern, die es auf dem Gebiet der heutigen Türkei gab, sind heute knapp 100.000 geblieben. Schon 1916 schätzte die Deutsche Botschaft in Konstantinopel, dass 1,5 Millionen Armenier deportiert worden seien und eine Million davon ums Leben kam. Eine Viertelmillion ist zwangsislamisiert worden und überlebte dadurch physisch. Es gibt zahlreiche Quellen und Augenzeugenberichte zu diesem Völkermord. Der Leiter der protestantischen „Deutschen Orient-Mission” Dr. Johannes Lepsius hatte bereits 1896 in einem Buch „Armenien und Europa” die damaligen Massaker dokumentiert. Mitten im Weltkrieg gab er einen „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei” heraus, der 1919 in erweiterter Fassung als „Todesgang des armenischen Volkes” erschien. Ein Augenzeuge des Geschehens war auch der Schriftsteller Dr. Armin T. Wegener, der 1919 einen „Offenen Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Herrn W. Wilson, über die Austreibung des Armenischen Volkes in die Wüste” richtete. Außer der „Deutschen Orient-Mission” arbeitete auch der „Deutsche Hilfsbund für Christliches Liebeswerk im Orient” in türkischen Städten. Er zählte außer deutschen Mitarbeitern auch Schweizer, Dänen, Norweger, Schweden und Finnen. Für diesen Hilfsbund veröffentlichte 1919 James William Somer eine Sammlung von Augenzeugenberichten „Die Wahrheit über die Leiden des armenischen Volkes in der Türkei während des Weltkrieges”.
Diese Massaker sind auch bekannt, weil sich Adolf Hitler auf die Armenierendlösung berufen hat. Bereits am 22. August 1939 ordnete er an: "Ich habe den Befehl gegeben, ...dass das Kriegsziel… in der physischen Vernichtung des Gegners besteht. So habe ich ...meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidlos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?"
Papst Franziskus hat gestern klare Worte zum Völkermord an den Armeniern gefunden!
Heute ist die Frage berechtigt: „Wer redet heute noch von den Sudetendeutschen und von zwölf Millionen vertriebener Ostdeutscher, von denen über zwei Millionen zu Tode kamen?“
Rudolf Grulich